Über das Hören

oder Wie ein Musiker erwachsen wird

Als wir noch jung waren und damit begannen Musik zu machen, war das eine große Faszination für uns, weil
– wir unsere jugendlich überbordenden Emotionen in der Musik kanalisieren konnten
– uns das physische Erlebnis des Musikmachens Befriedigung verschaffte
– wir Lob, Erfolg und Bewunderung bekamen
– wir dadurch unsere Eltern stolz machten
– wir dadurch gleichgesinnte Freunde fanden und gemeinsam Spaß hatten
– wir seitdem immer Ziele hatten
– wir anderen Menschen mit unserer Musik Freude machen konnten
– sich uns allmählich die riesengroße Welt des Wunders „Musik“ öffnete

Warum spricht man von Hobbymusikern als „Amateure“ oder „Dilettanten“?
Beide Wörter drücken etwas sehr Positives aus. Sie sind aus dem Lateinischen abgeleitet:
Der Amateur ist der Liebhaber.
Ein Dilettant ist, der sich selbst an etwas erfreut.
Beide Begriffe drücken aus, dass das, was wir tun, dem eigenen Genuss dient.

Die ersten 6 Punkte meiner obigen Aufzählung fallen unter dieses Phänomen.
Es gibt also zahlreiche „egoistische“ Gründe, warum man Musik machen kann.

Warum gibt es so viele „Wunderkinder“, die Krisen bekommen oder sogar wieder ganz in der Vergessenheit verschwinden?
Weil der Mensch mit zunehmendem Alter und zunehmender Erfahrung beginnt über alles nachzudenken, Dinge zu hinterfragen oder vielleicht sogar Probleme zu sehen, wo früher keine waren. Zum unbewussten Prozess des kindlichen Spielens (zum Zwecke der eigenen Freude) kommt nun Routine, Verantwortung für die Qualität, Ängste die Qualität nicht halten zu können, das Bemerken von Konkurrenz und nachwachsenden Wunderkindern, und nicht zuletzt das Gefühl kein Kind mehr zu sein, sondern erwachsen und „eine/r von vielen“. In diesem Moment kann das Intuitive beim Spielen verloren gehen.
Und dann muss etwas Neues kommen.

All das ist ganz normal. Entscheidend ist ab jetzt die Art und Weise wie der heranwachsende Musiker damit umgeht.
Ich erlebe nicht selten, dass mir ein Student – etwa in der Mitte seines Studiums – beichtet „keine Gefühle mehr für die Musik“ zu haben.
Das ist der Wendepunkt.  Jetzt findet der Wechsel vom Hobby- zum Profimusiker statt: Der Student realisiert, dass es jetzt nicht mehr nur um seinen eigenen Spaß während des Musikmachens geht. Er realisiert, dass er lernen muss der Musik das zu geben, was sie braucht, um im Hörer das Gefühl zu generieren, welches er bisher immer selbst fühlen wollte.

Wie funktioniert das? Dein Weg könnte sein, aus der Faszination des eigenen Erlebens/Fühlens eine Faszination des Hörens zu machen. Die Musik würde so nicht mehr nur ein Ventil sein für Deine momentanen Gefühle, Deinen Ehrgeiz oder Deine Energie. Sie würde sozusagen zur „Hauptperson“ werden.

Was heißt Hören?
Das rein akustische Wahrnehmen Deiner Musik. Dazu braucht es keine großen Gefühle und keine ausladenden Körperbewegungen, sondern einzig und allein eine genaue Vorstellung darüber, wie Dein „Produkt“ KLINGEN soll. Wenn Du Dich auf diese Suche begibst, wirst Du auf eine spannende Entdeckungsreise gehen. Du wirst feststellen, dass es unendlich viel zu hören und zu beobachten gibt, bis die Musik genau so klingt, wie Du es in Deiner Fantasie hörst. Und Du kannst Deinem inneren Ohr vertrauen, dort klingt eine schöne Version Deiner Musik. Deinem inneren Ohr oder Deiner Idee nachzuspielen, ist dann wie der Interpratation auf einem Tonträger zu folgen. Nur mit dem Unterschied, dass es DEINS ist.

Wenn Du in einem Ensemble spielst, dann sollte Deine Stimme sehr gut geübt sein – „hörend“ natürlich! – denn dann musst Du Dich im Ensemble selbst nicht mehr allzu sehr kontrollieren, sondern kannst Dich auf das Hören des Gesamtproduktes, nämlich der Kammermusik konzentrieren. Auf den Gesamteindruck hörend wirst Du auch viel mehr Farben finden, die zu den jeweiligen Stücken passen. Intonation und Rhythmus werden einfacher, weil sie kein abgekoppeltes Problem mehr sind, sondern ein selbstverständlicher Bestandteil des perfekten Hörerlebnisses.

Und was macht das richtige Hören mit uns auf der Bühne?
Es hilft (ver)störende Gedanken wie zum Beispiel „bin ich gut genug?“ oder „was denkt N.N. im Publikum von mir?“ oder „werde ich die nächste Stelle fehlerlos schaffen?“ gar nicht erst zulassen. Denn das richtige Hören erfordert 100%ige Konzentration und läßt kein Abschweifen zu. Man kann nur das hören, was in genau diesem Moment geschieht. Für Nervosität ist keine Zeit. Du BIST dann Deine Musik.